Pop Universell e.V.

Erwachsenwerden

Hyperschrei und Drei-Faltentum
Über das Erwachsenwerden in und mit Popkultur

Zur Zusammenfassung der Diskussion

Download Komplett-Mitschnitt (MP3, ca. 34 MB)

Von Mod bis Hipster – schon immer gab es bestimmte Zugehörigkeiten, Szenen und Fankulturen, zu denen man sich als Jugendlicher hingezogen fühlte. Doch wie ist das, wenn man erwachsen wird beziehungsweise erwachsen werden will…Muss man sich seiner Szene entziehen, um als “Jetzt bin ich erwachsen!” durchzugehen – sprich das vermeintliche Fan-Sein sein lassen, um der Lebens-Karriere eine Chance zu geben? Wir wollen herausfinden, inwieweit sich das Verhältnis zwischen Fans und ihren Idolen in den letzten Jahren geändert hat und ob es nachhaltiger oder nur schnelllebiger geworden ist.

Und welchen Bezug haben alte Idole auf neue, frische Künstler selbst? Schließlich ist der Rückbezug beziehungsweise die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Szene für die eigene Künstlerdefinition ausschlaggebend. Schaut man zumindest auf die Rezensionen und Storys der journalistischen Kollegen – dort glänzt der ewige Vergleich – welche Band klingt wie welche bereits bekannte Band, welcher Künstler hat von wem ein Scheibchen abgeschnitten? Der Rückbezug, besser, der generelle Bezug zu gelebter Szenekultur scheint auch da unausweichlich. Vielleicht ist es das, was einen Künstler ausmacht: die Mischung aus Einflüssen und dem Selbst-Fan-Sein, um wiederum Fans zu binden, um selber Idol zu sein.

Doch welche Chancen hat Fankultur heutzutage noch und wie kann die Branche selbst davon (wieder) profitieren? Auch die mögliche Einbindung des Fans im Heute und Morgen, ohne ihn im Sumpf der digitalen Welt zu verlieren, wollen wir erörtern.

All dies, gekoppelt mit viel Publikums-Interaktion, soll beim Panel diskutiert werden.

Mit Jörn Morisse (Kulturwissenschaftler, Autor), Philipp Ikrath (Institut für Jugendkulturforschung Hamburg), Edi Winarni (Sänger der Band MIT), Yessica Yeti (Musiker, Autor); Moderation: Torsten Groß (Rolling Stone).

Die Zusammenfassung der Diskussion

„Schminke hält nicht so lange wie eine Idee“

Download Komplett-Mitschnitt (MP3, ca. 34 MB)

Das Erwachsenwerden in und mit Popkultur stand im Mittelpunkt des Panels „Hyperschrei und Dreifaltentum“ am Samstagnachmittag der Pop Up X. Moderator Thorsten Groß vom Rolling Stone diskutierte mit dem Kulturwissenschaftler und Autor Jörn Morisse, Philipp Ikrath vom Institut für Jugendkulturforschung Hamburg, dem Musiker und Musikjournalist Yessica Yeti, dem Sänger der Band MIT Edi Winarni ebenso wie mit dem interessierten Publikum. Im Mittelpunkt standen dabei das Älterwerden aber auch die Veränderung von Jugendkulturen.
Ob man sich nun geschmeichelt fühlen sollte, Gast auf einem Panel zum Thema „Älterwerden“ zu sein, wollte keine der Diskutanten beantworten. Es sei aber, wie Moderator Thorsten Groß feststellte, eine Frage, mit der man sich früher oder später beschäftigen muss – auch im popkulturellen Bereich. So stellte Philipp Ikrath zu Beginn die These auf, dass sich das Älterwerden in den letzten Jahren stark verändert hat. Statt klar definierter Lebensphasen und Übergänge wie von der Popkultur in die Welt der Erwachsenen herrscht heute „das Bild der coolen Connewitzer Mutter“ in den Städten und Ballungsräumen. Eine gebildete Schicht Großstädter, die flexibel und kulturell neugierig bleibt. Andererseits ist es schwierig, ein „altersadäquates Verhalten“ zu zeigen: Jörn Morisse wünscht sich mehr altgediente Musiker, die mit 64 Jahren einfach „beige anziehen und Tauben züchten“, statt sich dem „Veränderungszwang“ (Philipp Ikrath) zu ergeben. Yessica Yeti verwies dagegen auf den Unterschied zwischen Medienschaffenden, der zwangsläufig mit der Popkultur altert, weil man sich automatisch mit dieser beschäftigt und Texte produziert, und dem Musiker, der irgendwann nicht mehr als „opinion leader für 17jährige Mädchen“ funktioniert. Als junger Musiker ist dieses „Marktdenken“ und das Nachdenken über das Klientel der eigenen Musik, so Edi Winarni, aber nicht relevant, denn es geht darum, die Erfahrungen der Vorbilder nach zu empfinden.
In den gegenwärtigen Jugendkultur gibt es für Yessica Yeti „nichts mehr zu entdecken“, da diese zu „unspeziell“ wäre und keine Chance auf Identifikation bieten würde. So ergänzte Torsten Groß, dass es nur noch eine weitere Vertiefung der bereits ausformulierten Genres in der Popkultur geben. Provokation bildet einen wesentlichen Teil jugendlicher (Sub-)Kulturen. Nach Philipp Ikrath gibt es aus dem linksalternativen Spektrum aber keine Möglichkeiten des Aufbegehrens mehr, weil diese Leitwerte bereits zum gesellschaftlichen Konsens gehören.
Die Bindungskraft der Jugendkulturen ist heute nicht mehr gegeben. Stattdessen werden Jugendkulturen als Freizeitprogramm wahrgenommen, in denen Werte und Rituale als wichtige Komponenten von Jugendkulturen in den Hintergrund rücken. Philipp Ikrath beschreibt die Rituale, die sich über Jahre hinweg zur Folklore entwickelt haben, als „etwas liebenswertes“ ohne gesellschaftliche Relevanz. Doch statt Kulturpessimismus bieten die aufgeweichten Genre- und Kulturgrenzen für Torsten Groß auch Chancen in der musikalischen Entwicklung. Ohne klare Abgrenzungen und Reibungsflächen gibt es auch, wie bei Edi Winarni, Berührungspunkte zwischen Britpop und französischen Elektro in den 1990er. Ein Publikumsgast sah darüber hinaus eine Verbindung zwischen der Diversifikation der Kulturen und dem Verlust der Kaufkraft in der Musikszene, da einzelne Tracks unspezifischer konsumiert werden als genrespezifische Alben.
Die Identifikation mit einer spezifischen Jugendkultur zeigt sich für „Alt-Punker“ Yessica Yeti hauptsächlich im Denken und Einstellungen. Dass sich diese Werte, wie Jörn Morisse anmerkte, in einer Geheimloge „Punk“ erarbeitet werden mussten, steht im Gegensatz zum heutigen „allumfassenden Blogwissen“. Auch für Edi Winarni gibt es keine „Szene“ mehr und nur „eine Handvoll Bands, die die gleiche Idee“ verfolgen. „Jeder verwirklicht sich selber“ und höchstens das Sammeln von Alben strahlt Authentizität aus. Die gewaltsamen Rituale früherer Jugendkulturen kann Winarni nicht mehr nachvollziehen. Die Verweigerung negativen Denkens und die Frage, „wo eigentlich der Hass geblieben“ (Jörn Morisse) sei, scheint für die ältere Generation bestimmend beim Blick auf die Jugend zu sein. Im Vordergrund stehen heute Toleranz und positives Denken, denn negatives Denken gilt mittlerweile gesellschaftlich als kontraproduktiv. Dass sich Toleranz dabei als Ausrede nutzen lässt, klare gesellschaftliche Positionen einzunehmen, erscheint Philipp Ikrath als vertretbares Argument in einer immer komplexer werdenden Welt. Statt abgeschlossene Jugendkulturen zu besetzen wird aus der Geschichte der Popkultur „gesampelt“. Ein Glück für die „ältere Generation“. Denn diese „Szenesampling“ macht es einem 40jähriger wie Yessica Yeti einfacher, in Clubs zu gehen, ohne sich peinlich und verloren zu fühlen.